Lügen, verdammte Lügen ...
Auf einem in der Stadt Zürich breit getreut aufgehängten Plakat der Stelle für Suchtprävention im Kanton Zürich steht: "Arbeitslosigkeit erhöht die Suchtgefahr um das 2-3 fache / Sucht beginnt im Alltag / Prävention auch". Die Ursachen der Sucht liegen also bei der bösen Wirtschaft, die "im Alltag" Arbeitslose hervorbringt. Jetzt wissen wir, dass Süchtige gar keine andere Wahl haben, zumindest wenn sie arbeitslos sind.
Die Formulierung deutet darauf hin, dass ihr nicht eine genaue Analyse von Ursache und Wirkung zugrunde liegt, sondern eine triviale Statistik, die besagt, dass der Anteil der Süchtigen an den Arbeitslosen etwa um das 2,5 facher höher ist, als der Anteil der Süchtigen an der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung und somit etwa 3,5 mal so gross ist. Unter der Annahme, dass etwa 5% der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos sind und etwa 5% der arbeitsfähigen Bevölkerung süchtig sind, besagt diese Statistik nichts anderes, als dass von 100'000 arbeitsfähigen Menschen 90’875 weder arbeitslos noch süchtig, 4125 süchtig aber nicht arbeitslos, 4125 arbeitslos aber nicht süchtig und 875 sowohl arbeitslos als auch süchtig sind.
Dann ist aber auch der Anteil der Arbeitslosen an den Süchtigen um das 2,5 fache höher als der Anteil der Arbeitslosen an der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung. Aus derselben Statistik könnte man also mit demselben Recht den Slogan ableiten: "Bei Sucht steigt das Arbeitslosigkeitsrisiko um das 2-3 fache / Arbeitslosigkeit beginnt im Alltag / Prävention auch". Bei der moralisch haltlosen Gesellschaft liegen also die Ursachen für die hartnäckige Arbeitslosigkeit. Endlich wissen wir, wo die Schuldigen zu suchen sind.
Benjamin Disraeli wird das Diktum zugeschrieben, es gebe einerseits Lügen, dann gebe es andererseits noch verdammte Lügen und als letzte Steigerung gebe es schliesslich noch die Statistiken. Natürlich ist nicht die Statistik an sich an sich lügnerisch, sondern die Technik der bewussten ungerechtfertigten Unterstellung von ursächlichen Zusammenhängen wie sie heute die Plakate verschiedener solcher Ämter verunziert. Obwohl es sehr plausibel erscheint und sicher auch gelegentlich vorkommt, dass ein armer Arbeitsloser dem Trunk verfällt, und obwohl es ebenso plausibel ist, dass ein Süchtiger wegen seiner Sucht seinen Job verliert, kann weder das eine noch das andere aus der Statistik gefolgert werden. In Wirklichkeit beruhen beide, Sucht und Arbeitslosigkeit, wahrscheinlich auf dem komplexen Zusammenwirken mehrerer gemeinsamer Ursachen.
Die Häufigkeit und Skrupellosigkeit der "statistisch abgestützten" Schuldzuweisungen auf den Plakaten solcher "Beratungsstellen" und "Ämter" von Stadt, Kanton und Bund legt den Schluss nahe: "Die Arbeit bei einer kantonalen Beratungsstelle erhöht das Risiko der lügnerischen Verwendung von Statistiken um ein Vielfaches". Vielleicht ist es aber auch so, dass nur Lügnerinnen von einer solchen Beratungsstelle angestellt werden?
Hartwig Thomas